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Kein Konterfei des Verfassers, sondern ein Detail aus der Rücktitelillustration von Schulz/Labowski zu Pulaster

Zur Darstellung der Außerirdischen in
Schwarze Blumen auf Barnard 3 und Pulaster
von Alfred Leman bzw. Angela & Karlheinz Steinmüller

Von Ivo Gloss

Die Science Fiction verfügt über einen bestimmten Fundus genretypischer Requisiten, aus dem sich die Autoren immer wieder bedienen, um mit Hilfe von Altbekanntem etwas völlig Neues, ganz Phantastisches zu schaffen und ein bestimmtes Anliegen zu realisieren. Zu den ältesten und meistgenutzten Stücken aus dieser Requisitenkammer gehören die außerirdischen vernunftbegabten Wesen, die schier unermessliche Möglichkeiten in sich zu bergen scheinen. Auch im ersten Science Fiction-Roman der DDR, in Ludwig Tureks "Goldener Kugel" aus dem Jahre 1949, begegnen wir schon den "Anderen". Ich möchte mich jedoch an dieser Stelle zwei der neuesten (1) DDR-SF-Romane zuwenden, in denen die Autoren auf die Außerirdischen zurückgegriffen haben.

Titelgestaltung: Rolf Xago Schröder

Zum einen handelt es sich um Alfred Lemans "Schwarze Blumen auf Barnard 3", erschienen 1986. Das Buch fällt dadurch auf, dass es weder mit einer spektakulären wissenschaftlich-phantastischen Hypothese, noch mit besonders aktionsbetonter und turbulenter Handlung aufwartet. Es trägt mehr den Charakter einer Alltagsschilderung. Die "Anderen" geben dem Roman den Titel und ziehen sich durch die gesamte Länge des Buches, bleiben aber andererseits doch immer irgendwie am Rande. Betrachten wir einmal näher, wie sie hier dargestellt sind.
     Grundsätzlich erst einmal wird eine Beschreibung von Aussehen, Bewegungsform und Verhaltensweisen der "Anderen" gegeben. Es gibt ja in der Science Fiction auch Beispiele, wo darauf verzichtet wurde und die selbst nicht zu entdeckenden "Anderen" lediglich durch immer neue Spuren die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich lenken oder für die Menschen unsichtbare Wesen dies nur durch Wirkungen ihres Handelns tun. Ein Autor könnte es sich also leicht machen und die "Anderen" als unbeschreibbar, als bar jeder festen Form und von - wenn überhaupt - unbestimmbarer Farbe schildern. Dies tut Leman nicht, aber er macht es sich auch nicht sonderlich schwer. Die Darstellung der Schwarzen - dies ist die Farbe der "Anderen" - bleibt blass, doch immerhin hat der Autor ein halbes Dutzend Erscheinungsformen des fremden Lebens skizziert. "Schwarze Blumen auf Barnard 3" ist kein Buch, das seinen Reiz aus der Sorgfalt und der Originalität gewinnt, mit der der Autor eine Form fremden Lebens ausführt. Haben wir es mit Mangel an Phantasie oder mit künstlerischer Absicht zu tun? Ich möchte drei Argumente für das Letztgenannte anführen.

     1. Eine wichtige Bedingung für gute SF - gleich, ob nun mehr oder weniger phantastisch - ist, dass das Geschilderte in sich stimmig sein muss. Und wenn das Aufeinandertreffen zweier recht verschiedenartiger Formen intelligenten Lebens geschildert wird und ein Planetenführer aus der Reihe "Alles über ..." in der Sprache der jeweils anderen gerade nicht zur Hand ist, dann ist es sicher stimmiger, wenn das Erkennen und Verstehen der "Anderen" als langwieriger und nicht unproblematischer Prozess dargestellt wird, statt als unterhaltsame Knobelaufgabe, die die Helden nach drei Tagen, drei Monaten oder drei Jahren definitiv gelöst haben. Wenn also am Ende eines Werkes, das die Begegnung voneinander wesentlich verschiedener Wesen schildert, mehr Fragezeichen als Schlusspunkte stehen, die gefundenen Antworten mehr hypothetisch-vorläufiger als dogmatisch-endgültiger Natur sind, dann kann das ein Umstand sein, der die Glaubwürdigkeit der Phantasie nicht etwa schmälert, sondern im Gegenteil erhöht.

     2. Zweitens ergibt sich der geringe Umfang des Wissens über die "Anderen" - und damit auch deren sehr knappe Beschreibung - hier konsequent logisch aus der dargestellten Inaktivität der Menschen bezüglich Kontakt und Erforschung der "Anderen", die zumindest vom Leiter der Station ausgeht. Der hier geschilderte Fall, dass die "Anderen" die Initiative zur Herstellung des friedlichen Kontaktes innehaben und bei den Menschen auf solche Zurückhaltung stoßen, gehört zu den in der DDR-SF unüblicheren Varianten.

     3. Drittens und nicht zuletzt muss berücksichtigt werden, dass im Zentrum des Interesses des Autors nicht die "Anderen", sondern die Menschen stehen, deren Charakterisierung wie auch die Gestaltung der Beziehungen zwischen ihnen er ja auch mit bemerkenswert großer Sorgfalt und großem Aufwand in Angriff nimmt. Zur plastischeren Darstellung der Charaktere sind in das eigentliche Geschehen acht Episoden aus dem früheren Leben der Besatzungsmitglieder der Station eingefügt, die in gewissem Grade als eigenständige Erzählungen aufgefasst werden können und gut die Hälfte des Buches ausmachen.

     Was ist nun das Anliegen Lemans in diesem Buch?
     Er beschreibt das Leben eines abgeschlossenen nicht nur Arbeits-, sondern  für anderthalb Jahre auch Wohnkollektivs. Im Kern der Sache ist das Arbeitskollektiv aber mehr ein Wartekollektiv. Die Aufgabe besteht allein darin, die anderthalb Jahre abzuwarten und gesund zu überdauern, bis das Raumschiff die neun Menschen wieder aufnehmen wird. Das zur Dienstvorschrift erhobene Verhalten der sprichwörtlichen drei Affen wird in Frage gestellt durch die Schilderung der Situation, in der es nicht nur Nützliches, sondern auch eminent Wichtiges zu tun gilt, nämlich die Erforschung der "Anderen" und die Annäherung aneinander. Einer rechneroptimierten Menschengesellschaft, die es zulässt, dass Menschen wie Dinge einfach eine bestimmte Zeit irgendwo abgelegt und auf Leerlauf geschaltet werden, steht die Gesellschaft der Außerirdischen gegenüber, die auch aus Individuen besteht, in der aber niemand allein gelassen wird.

     Die Außerirdischen erfüllen hier also die klassische Funktion eines Gegenentwurfes, dies allerdings auf einen engen Aspekt begrenzt, und daher rührt auch die Unschärfe in ihrer Gesamtdarstellung. Wobei "Gegenentwurf" sicher schon zu hoch gegriffen ist und das Wort "Kontrastmittel" den Sachverhalt besser kennzeichnet. Die "Anderen" sind aber auch ein aktivierendes Moment für die neun Menschen, sie sind die Aufgabe, deren Lösung in Angriff zu nehmen wichtig, nützlich und menschlich wäre, aber untersagt wird.
 

Pulaster (1986), Titelgestaltung: Regine Schulz und Burckhard Labowski
Ebenfalls 1986 erschien der Roman "Pulaster" von Angela und Karlheinz Steinmüller. Im Gegensatz zu "Schwarze Blumen auf Barnard 3" zeigt sich uns hier ein umfängliches und detailliertes Bild sowohl der fremden Einzellebewesen als auch deren Gesellschaft. Die Steinmüllers lassen uns die vernunftbegabten Außerirdischen hier in Form von dreimetergroßen Sauriern entgegentreten, die in steinzeitlichen Verhältnissen leben. Ausgerechnet Saurier, wo doch gerade diese urzeitlichen Ungetüme eigentlich genau das Gegenteil von vernunftbegabt und zivilisiert assoziieren. Und schließlich hat auch eine ganze Reihe von SF-Schriftstellern schon mehr oder weniger schlüssig dargelegt, warum es Vernunft in der Hülle eines Ungeheuers nicht geben kann. Nachdem aber in der Vergangenheit in Kinderbüchern und auch in Pop-Musiktexten um Sympathie für die Saurier geworben worden ist, brechen die Steinmüllers nun auch wissenschaftlich-phantastisch eine Lanze für diese Wesen und deuten an, dass sie geläufigen Auffassungen Widersprechendes zur Diskussion zu stellen gedenken.

     Da wird zum Beispiel der die Menschen auszeichnende Wesenszug, ihr Leben zu planen, auf die Dimensionen von Lichtjahren und Jahrhunderten ausgeweitet demonstriert. Groß ist inzwischen der der Menschheit zugängliche Bereich des Universums. Die Zeit des Fluges zwischen den Sternen "verschlafen" Besatzung und Passagiere in Kältekammern. Dies und das Wirken der Zeitdilatation führen dazu, dass man sich nach einigen interstellaren Reisen um mehrere Jahrhunderte von seinem Geburtsjahrhundert in die Zukunft verschlagen findet. Langfristige Planung macht es jedoch möglich, sich mit einem Bekannten auf ein Wiedersehen in hundert Jahren und fast hundert Lichtjahren Entfernung zu verabreden. Den Hreng, wie sich die Saurier nennen, mutet es sehr armselig an, das Leben des Menschen, dieses "Halbwesens", das "dem Jetzt in die Vergangenheit entflieht oder in die Zukunft vorauseilt", das "aus dem Hier in die Ferne abirrt", das "sich durch Selbstdressur, durch Technik und im Extremfall durch Drogen von seiner Umgebung abkapselt", das "nicht richtig präsent ist". Der Mensch besinnt sich auf Vergangenes und plant Zukünftiges und ist dadurch - das Unterpfand für die Entwicklung seiner Kultur - behindert, wirklich voll zu leben, die Gegenwart, das Jetzt, in seiner ganzen Fülle zu erleben. Die Philosophie der Hreng lautet: "Jeder Tag ist eine Schale", und gemeint ist die Schale des Eies, aus dem sie einst geschlüpft sind. Jeden Tag schlüpft man aufs neue, jeder Tag ist ein erster Tag, heißt das. So erleben die Hreng mit beneidenswerter Intensität all das, was der Tag zu bieten hat. Wenn etwas auf ein Hreng besonders tiefen Eindruck gemacht hat, es etwas besonders tief erlebt hat, dann zeigt es dies durch Änderung seines Namens (zum Beispiel in "Das den roten Schmetterling gesehen habende") seinen Mithrengs an, schlüpft quasi in eine neue Identität. Dies allerdings nur für sich, nicht für seine Stammesgenossen. Davon ausgehend, dass es sich um mehr als das unverbindliche Darbieten einer Möglichkeit außerirdischer Philosophie handelt, wollen die Autoren nun aber mit Sicherheit auch nicht einem Aussteigen aus der Gesellschaft und gedankenlosem In-den-Tag-hinein-Leben oder gar der gesamtgesellschaftlichen Kulturaufgabe (Kulturverzicht) das Wort reden, doch mit der Frage nach dem Wert des Vermögens, im Augenblick die Welt zu erleben, berühren die Steinmüllers ein, wie mir scheint, äußerst wichtiges Problem. Wir leben in einer Epoche, in der deutlich geworden ist, mit welch immer weiter anwachsender Geschwindigkeit die Welt in die Zukunft stürmt (Man denke allein an die Entwicklung von Wissenschaft und Technik in den letzten hundert Jahren und die damit einhergehenden Veränderungen.). Das Streben des Menschen nach der Veränderung der gegenwärtigen Welt in eine zukünftige und natürlich bessere gehört zu seiner Selbstverwirklichung, aber ein ebenso unverzichtbarer Bestandteil, der vernachlässigt zu werden droht, ist diese hrengtypische schrankenlose Öffnung für das Gegenwärtige, das von der Natur und Menschen Hervorgebrachte und morgen vielleicht schon nicht mehr so Erlebbare. Auch in Arne Sjöbergs Roman "Andromeda" (1983) [Verkaufsangebot] werden übrigens am Ende des Buches mit den OMGAREN Wesen skizziert, die ausschließlich und rastlos am Forschen, Schöpfen und Schaffen sind. Der Autor lässt seinen Helden über diese Wesen sagen: "Ich glaube, ich könnte sie wirklich lieben und mich sehr wohl fühlen bei ihnen, wen sie nur nicht so entsetzlich gleichgültig dem eigenen, vollendeten Werk gegenüber wären." (S. 219)

Suhrkamp-TB (1988). Titelgestaltung: Hans Ulrich und Ute Osterwalder

Aber zurück zu den Hreng. Aus der Lebensauffassung der Hreng resultierend, entwickelt sich ihre Kultur nicht weiter, so dass die Zivilisation der Hreng gegenüber der der Menschen zwar die wesentlich ältere ist, trotzdem aber auf dem Niveau der Steinzeit verharrt. In diesem Zusammenhang nun stellen die Steinmüllers einen weiteren ungewohnten, geradezu unheimlichen, da aller Geschichtsauffassung widersprechenden Gedanken zur Diskussion. Fabius und Gabriell, die Helden des Romans, stoßen nämlich auf Anzeichen dafür, dass die Hreng vor Urzeiten, als sich der Übergang zur Eisenzeit abzuzeichnen begann, bewusst durch ein System von Tabus ihre gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung angehalten haben, um Klassenentstehung und Ausbeutergesellschaft zu verhindern. Unabhängig davon, wie man diesen unerhörten Eingriff nun bewerten mag, man muss ihn doch zumindest als gewaltige Leistung anerkennen. Das niedrige technische und gesellschaftliche Entwicklungsniveau der Hreng, das bisher als unerklärliches Zurückbleiben erschien, offenbart sich als anderer Weg, vielleicht generell gangbar, vielleicht auch nur zeitlich begrenzt.

     Problematisch ist auch die Frage nach dem Verhältnis von Hreng und Menschen. Dürfen die Menschen die Hreng gegen deren Willen zivilisieren, technisieren, das alte funktionierende System zerstören, oder sind sie gar dazu verpflichtet, den verhängnisvollen Riegel zu lösen, den die Hreng ihrer Entwicklung vor langer Zeit zum Zwecke der Bewahrung der sozialen Gerechtigkeit vorgeschoben haben, da die Menschen den Hreng jetzt vielleicht helfen könnten, die Etappe der antagonistischen Klassengesellschaft zu überspringen?

    "Pulaster" ist ein Buch, das viel Stoff zum Nachdenken bietet. Diese nuancenreiche Darstellung des regnerischen Planeten verträumter Saurier gehört ohne Zweifel zu den gelungensten Entwürfen außerirdischer Zivilisationen in der DDR-SF. Für SF-Verhältnisse bemerkenswert ist auch der Grad, in dem es gelungen ist, die Haupthelden zu lebendigen Charakteren zu machen, besonders hervorhebenswert scheint mir aber, dass das Gesagte auch auf ein nicht menschenähnliches vernunftbegabtes Wesen zutrifft, eine besondere Rarität in unserer Science Fiction. Der liebenswerte Saurier Gabriell wird zwar sicherlich kaum solche Popularität wie der Filmheld E.T. erwerben, aber im Laufe des Romanes eröffnet sich dem Leser doch ein komplizierter, widerspruchsvoller und sympathischer Charakter.

* Bei dem obenstehenden Text handelt es sich um einen Vortrag, den ich für ein SF-Kolloquium im September 1987 in Magdeburg geschrieben habe. Er wurde auch in SOLAR-X Nr. 40 (Juli 1993) abgedruckt.
 

- Leman, Alfred: Schwarze Blumen auf Barnard 3. Vlg. Neues Leben, Berlin 1986, 280 S. [Amazon]
- 1989: 2. Auflage 

[Autoren-Bestenliste]

- Steinmüller, Angela & Karlheinz: Pulaster. Roman eines Planeten. Vlg. Neues Leben (Basar-Reihe), Berlin 1986, 288 S.
- 1987: 2. Auflage  [Amazon]
- 1988: Suhrkamp Taschenbuch Vlg. (Phantastische Bibliothek Bd. 204), 320 S. [Amazon]
- 2008: Shayol-Vlg., 294 S. [Amazon]
"Pulaster" wurde in der DDR mit dem "Traumfabrikanten", einem Publikumspreis für den besten SF-Roman des Jahres, ausgezeichnet. Rezensionen u.a. in: "Neue Deutsche Literatur" (ndl) Nr. 7/1987, in "Sonntag" Nr. 2/1987 und in "Wochenpost" Nr. 37/1987

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- Steinmüller, Angela & Karlheinz: Alles über Pulaster. Phantopia-Sondernummer (Publikation der AG "Phantopia" an der TH Ilmenau), Ilmenau 1989, 24 S.
Dieses Heft enthält Auszüge aus dem von den Autoren zur eigenen Orientierung während der Arbeit am Roman zusammengetragenen Flottenhandbuch "Alles über Pulaster" (Daten und Fakten) sowie Schwarzweiß-Reproduktionen von von Thomas Fröhlich nach Ideen von Karheinz Steinmüller gemalten Karten des Planeten.
 
 

Titelillustration: Thomas Fröhlich


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